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Die
Antwort der Engel
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Joseph, der
Schweigsame Joseph Kreutzer, einziger Mann der
„Vierergruppe“, ist ein stiller Mann, aber das Schweigen ist seine
Ausstrahlung: es ersetzt alle Worte. Joseph ist ein Alleingänger,
nachdenklich, wenig geneigt zu grossen Reden. Seine Gegenwart lindert
Spannungen.
Vom agnostischen Juden... Hinter dieser gelassenen Fassade
verbirgt sich eine unergründliche Unruhe. In einer armen Familie
aufgewachsen – sein Vater war ein kleiner Schneider in Pest – ist er
ein agnostischer Jude. Er ist fünfzehn, als 1919 die Republik von Bela
Kun geleitet, die Macht in Ungarn an sich nimmt. Sein Alter hindert ihn
nicht daran, mit Begeisterung an dieser revolutionären Bewegung
teilzunehmen und vielen politischen und kulturellen Treffen
beizuwohnen. Aber diese Regierung, von der Sovietunion beeinflusst,
sollte bald verschwinden, um Platz für Horthys Diktatur zu lassen, was
Joseph skeptisch und verwirrt macht. Der Aufstieg der Nazis in
Deutschland und der Antisemitismus in Ungarn der dreissiger Jahre
lassen ihn das schlimmste fürchten.
Joseph Kreutzer hat erst in der Kunstakademie in Budapest, dann in München studiert und hat dort seiner Cousine Hanna wieder begegnet. Die zwei jungen Leute gefallen einander und heiraten trotz ihrer Blutsverwandschaft. Nach ihrem Studium ziehen sie in ein wunderschönes Atelier über der Donau nach Budapest. Sie schlagen alle möglichen Dienste im Rahmen der bildenden Künste vor, die von Reklameplakaten, Bühnenbilder, Näharbeiten bis zu Möbeldesign gehen. Hanna entwirft und Joseph leitet die Werkstätten. Hanna arbeitet auch als Lehrer. Nachsichtig beobachtet er die Initiative seiner Frau mit Gitta Mallasz und Lili Strausz, wohnt aber gerne ihren Gesprächen bei, wenn es um grosse philosphische Fragen geht und mischt sich sogar manchmal ein. ...zum Gesandten des Himmels Als die Himmelsboten in Budaliget
erscheinen, handelt es sich für ihn um eine Frauengeschichte, aus der
er sich raushält. Danach ändert er seine Ansicht: drei Monate später
trifft er die Entscheidung, auch bei den Treffen teilzunehmen. Er hat
verstanden, dass es sich hier um eine „richtige Nahrung“ handelt. Aber
natürlich schweigt er. Der Engel spricht ihn an:Was dir Schleier war, war Mauer beim „Sohne“ -
die alte Mauer, die der Mensch zwischen sich und seinem Schöpfer errichtet hat. (AE S. 66) Damit erinnert er ihn an seine
materialistische Vergangenheit und an seine Berufung zum Erbauer. Viele
ihrer Gespräche werden sich darum drehen.
So sagt er ihm nach seiner Bruch-Operation: Zum Genesenden spreche ich.
Der alte Mangel ist erfüllt. Der vergangene Mensch hat mehr gehoben, als er konnte. ER HAT DIE MATIERE ÜBER SICH SELBST ERHOBEN UND SIE HAT IHN ZERRISSEN. Die Narbe erinnere dich daran, du Sohn! Sie ist Bild eines Zeitalters. Nun aber bist du genesen. (AE S. 136) Januar 1944, Joseph ist voller
Sorgen – sein Vater liegt schwerkrank im Spital - zeigt sich sein
Engel in vollem Glanze, in intensives grünes Licht getaucht.
Alles Zögern ist wie weggefegt und Joseph sagt:
Sprich zu mir! Es wird ihm geantwortet:Falsche Scham ist Zeichen der Schwäche. Und konkreter:Die Stille ist mein Wort. Und der Engel fordert ihn auf, sich an ihn zu wenden:Ich nehme nicht Abschied. (AE S. 183-184) Die wenigen Gespräche, die sich an
Joseph wenden, sind intensiv. Manchmal wird ihm sogar auf brutale Weise
zu verstehen gegeben: so bricht am 24. Februar 1944 die Decke des
Ateliers ein, in dem er arbeitet. Glücklicherweise ist er unverletzt im
Trümmerhaufen.
Am nächsten Tag erklärt ihm der Engel: Können wir nicht sprechen, so sprechen die Steine.
Der Stein fiel zur Erde und zeigte dir, wo dein Mangel ist. (AE S.225) Gitta erklärt später, dass Joseph der
am wenigsten „Irdische“ der Vierergruppe sei. Er konnte sein erlösendes
Gleichgewicht nur durch das tiefe Erleben des Materiellen erlangen.
Dementsprechend belehrte ihn sein Engel „der Bauende“ durch materielle
Geschehnisse (EE, S. 30) indem er die Sprache der Erbauer benutzt :
Steine, Aufbau, Gewicht.
Auch wenn Joseph der Zurückhaltendste der Vierergruppe ist, ist seine Anwesenheit doch nicht zweitrangig. Er verstand besser als alle anderen den Sinn der Engelslehre. Als sie gebeten wurden, wie eine Art von Prüfung, schriftlich über die Frage nachzudenken: „Was würdet ihr in der Neuen Welt für die Neue Welt tun?“ (AE S. 217) ist er der einzige, der intuitiv richtig die Frage beantwortet. Er ist auch der einzige, der „seinesgleichen in Licht“ sieht, dieser wiederum nennt ihn „Gesandter des Himmels“ (EE S. 30) . Joseph ist für ihn vor allem „der Sohn“. Natürlich seines Vaters Sohn: Lass deinen Vater noch nicht gehen, er kann noch leben.
(….) Dein Vater ist noch nicht reif. Es fehlt ihm etwas: auch du musst Vater werden. (AE S. 184) Aber Joseph sollte keine Kinder
haben, zweifellos wollte er wegen der Verwandschaft zu Hanna und seinen
unguten Vorahnungen nicht.
Dann : Der VATER und dein Vater sind eins.
Zwischen den beiden der Sohn. Der Sohn verbindet. Ist der Sohn da, so gibt es keinen Tod. (AE S. 183) Eine Anspielung auf Christus, Gottes
Sohn und seine Wiederauferstehung? Es gibt keine Antwort darauf.
Patrice Van Eersel schätzt, dass Joseph „der erschütternde Vertreter
eines bescheidenen, menschlichen Jesus war, Freund der Armen und
Bettler, er selber jämmerlich, ehrlich seine unendliche Geringfügigkeit
bestätigend. Seine Ängste voll von Mitgefühl erlaubten ihm, die
richtige Bahn der Gespräche beizubehalten.“
Der Untergang Drei Monate später kommt Joseph ins
KZ. Er erhält eine Vorladung, sich zum Bahnhof von Keleti zu begeben,
wo die Züge zur Deportation warten. Alles ist angegeben: Die Zeit, der
Bahnsteig, der Wagon. Joseph flieht nicht, er geht seinem Schicksal
entgegen, aber am Vortag seiner Abreise sprechen alle Engel
nacheinander und dann zusammen. Sie enthüllen den vier Freunden den
Sinn ihrer Aufgabe und besiegeln so ihre Allianz mit diesen Versen: Die Stille ist das Haus des strahlenden Wortes, in dem die Liebe brennt. (AE S. 295) „Die Stille“ ist Joseph, „das Wort“ Hanna, „strahlend“ Gitta, „in dem die Liebe brennt“ Lili. Am 3. Juni 1944 begleitet Gitta Joseph zum Bahnhof, Hanna, zusammengebrochen, gelingt es nicht. Gitta sieht ihn in der Menge verschwinden, sehr würdig, seinen gelben Stern pflichtbewusst tragend mit einem kleinen Handkoffer. Derjenige, von dem Vera Székely (1), eine Schülerin Hannas, sagte er war „bezaubernd, so reif, so lustig, so ironisch, so kultiviert“ ging weg, nach Gittas Aussage „ohne jedes Zögern, gewachsen durch die Worte, die er 11 Monate lang durch den Mund seiner Frau gehört hatte“ Joseph wurde in ein Lager in Ungarn geschickt, von dem er es schaffte, zu fliehen. Eine Bauernfamilie nahm ihn auf. Aber nach einigen Tagen, er fürchtete um die Sicherheit dieser gastfreundlichen Familie, ging er freiwillig ins Lager zurück. Danach verliert sich jede Spur. Man weiss nicht, unter welchen Umständen er gestorben ist. Obwohl es in Budapest noch möglich war, den Nazis zu entfliehen, wählte Joseph freiwillig und ohne Widerstand, zu seinem Bestimmungsort zu gehen, von dem er mit Sicherheit wusste, dass er fatal war. Hanna, zusammen mit Lili erging es genau so fünf Monate später. Dieses Opfer hat Gitta ihr Leben lang zugesetzt. Sie erzählte von einem sonderbaren Traum, den das Paar hatte, als sie zu ihrer Studentenzeit in Deutschland nach Nürnberg zum Dürerfest fuhren: “Im mittelalterlichen Nürnberg lief Hanna verzweifelt einem Karren nach, auf dem Joseph gefesselt zur Hinrichtung geführt wurde. Joseph dagegen träumte die selbe Szene: er war auf einem Karren gefesselt und sah Hanna, die verzweifelt nachlief“ (AE S. 384). Schreckliche Vorahnungen, denen sie nicht entgehen konnten. Françoise Maupin (1) Vera Székely,
geborene Harsanyi (1919-1994) ist eine ungarische Künstlerin, die
zuerst Schwimmerin war. Sie wurde von Gitta Mallasz für die olympischen
Spiele 1936 in Berlin trainiert. Danach wurde sie, wie auch Pierre
Székely, ihr zukünftiger Mann, Hannas Schülerin. Während der Gespräche
in Budaliget wohnten sie in der Wohnung von Hannas Eltern in Budapest
und waren die ersten Leser dessen, was „die Antwort der Engel“ werden
sollte. Nach dem Krieg liessen sie sich in Frankreich nieder.
Quelle
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