english  english
Français  français
magyar  magyar
Die Antwort der Engel

{ Dokumente }


 

die Antwort der Engel
  
Hanna Dallos

Joseph Kreutzer

Gitta Mallasz
  
Lili Strausz

die Zeugen
  

Hauptseite

Kontakt



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

  Lili, die Helfende

Höre gut, mein Diener. Du bist die «Helfende».
Der Schlüssel all deiner Taten, all deines Lehrens
sei das Lächeln. Versuche es!
(AE, 35L)

Wer war beim Lesen der Gespräche mit Lilis Meister nicht gerührt? Im Laufe ihrer Treffen leitet der Engel des Mitgefühls sanft „seine Geliebte“, „seinen kleinen Diener“, damit sie „ihre Aufgabe“ bestens erfüllt.
Man darf deshalb aber nicht glauben, dass Lili eine zerbrechliche Frau war, die um Barmherzigkeit bettelt. Lili war sehr schön von athletischer Statur. Pierre Székely (1) sagt von ihr, „sie hatte ein sehr gezeichnetes Gesicht, ein bisschen männlich, sie hatte viel Energie und Kraft“ und fügt hinzu „wenn sie Fragen stellte, zeigte sie sich freiwillig schwach, wie ein Kind, aber ausserhalb dieser Momente wusste sie, was sie machte. Sie wollte vor allem Bestätigung dafür finden, ihre Handlung, ihre Arbeit zu befestigen.“
Lili Strausz
Lili Strausz
(mit freundlicher Erlaubnis von B. Montaud)

Der Geist einer Vorläuferin

Die „Aufgabe“ Lilis in Ungarn während des zweiten Weltkrieges war alles andere als leicht. Sie lehrte Ausdruckstanz, war aber auch Therapeut und ging in ihrer Arbeit viel weiter. In Wirklichkeit lehrte sie ihren Schülern die Einheit zwischen Körper und Geist zu finden. Sie war eine Vorläuferin. Zu dieser Zeit redete man kaum von Entspannungen oder Yoga. Nur einige Länder waren diesen Methoden gegenüber offen. Die Schweiz gehörte dazu. In diesem Land, in dem Lili ihren Beruf erlernt hatte, schöpfte sie neue Energie. Hier gab es zwei grosse Meister auf dem Sachgebiet: Emile Jaques-Dalcroze, Gründer der Dalcroze Methode und Rudolf Laban. Letzterer, von österreichisch-ungarischer Herkunft, unterrichtete auch in Budapest und gab regelmässige Sommerkurse in den schweizer Bergen. Vielleicht wurde sie von ihm ausgebildet.
In ihrer Arbeit war Lili erstaunlich. Vera Székely (2) sagte von ihr: „Sie lehrte euch unvorstellbare Potenziale, in eurem Körper versteckt, zu entdecken, spielend mit euren Muskeln und Knochen fertig zu werden. Sie manipulierte euch die Beine, den Rücken, den Nacken. Oft löste das tiefe emotionale Explosionen aus – und Lili befand sich in der Rolle eines Psychotherapeuten, die sie grossartig übernahm.“

Lili Strausz Sie wurde am 24. September 1906 in Keszthely, an den Ufern des Plattensees, geboren. Lili, von jüdischer Abstammung, ist das jüngste Kind einer zahlreichen Familie, die in grösster Unordnung lebt. Ihr Vater, Alkoholiker, stirbt mit noch nicht 50 Jahren, und die Mutter lässt sich anlässlich dieser dauernd zankenden Sprösslinge gehen, worüber Lili sehr leidet. Einer ihrer Brüder, der geschäftlich Erfolg hatte, besitzt zwei grosse Kaffees in Budapest, von dem eines sehr in Mode ist und von der höheren  Gesellschaft gut besucht wird. Die ganze Familie wohnt im Hochhaus über dem Kaffee und Lili verbringt die meiste Zeit damit, die einen mit den anderen auszusöhnen.

Gitta Mallasz war Schwimmsiegerin als sie sich an sie wand, damit sie ihre Krämpfe löse.
Sie sind sofort auf derselben Wellenlinie, obwohl sie so verschieden sind, die eine ein Tatmensch, die andere eine Nachdenkliche.
Gitta stellt Lili Hanna Dallos vor. Alle drei entdecken schnell, dass sie dieselben Sorgen haben und  so treffen sie sich häufig. Nach und nach verbringen sie alle Wochenenden zusammen. Ein Kreis bildet sich, dem sich bald Joseph Kreutzer anschliesst.
Und  wenn Hanna, Gitta und Joseph das Bedürfnis verspüren, sich zu sehen und sich dafür in Budaliget niederlassen, kommt natürlich Lili dazu. Sie arbeitet zwar weiterhin in der Hauptstadt, aber hält sich an den Wochenenden in Budaliget auf. Sie mietet eine ganz kleine Hütte, sehr karg eingerichtet, aber in einem Garten voller Blumen und sie sieht ihre Freunde regelmässig.
Eines schönen Tages im Juni 1943 verkünden Gitta und Hanna ihr ein sonderbares Ereignis: eine Stimme hat durch die Vermittlung Hannas zu Gitta gesprochen. Sofort bittet Lili darum, bei den Treffen dabei sein zu können. Gitta erzählt so über die Atmosphäre dieses ersten Gesprächs, das am 9. Juli 1943 stattfindet:
„Lili hat sich entschlossen auch ihrerseits Fragen zu stellen (….) eine kurze Pause, wir fühlen alle eine sehr sanfte Gegenwart voller Wärme (….) Die Stimme ist milde geworden und entspricht nicht dem viel strengeren Tonfall meines Meisters.“ (AE, 3L)
Tatsächlich war der erste Kontakt Gittas mit ihrem Meister rau gewesen:
Unnötiges Fragen wird dir abgewöhnt werden. Gib acht! Bald wirst du Rechenschaft ablegen müssen. (AE, 1G)
Lilis Meister ist einfach und warmherzig:
Ich bin da. Du hast mich gerufen. Ich habe dich gerufen. (AE, 3L)

Ein schwieriges Gleichgewicht


Lili Strausz
Lili Strausz
(mit freundlicher Erlaubnis von B. Montaud)
Während all ihrer Gespräche zeigt der Engel seinem „dichteren Ebenbild“ den Weg. Obwohl Lili ein unvergleichliches Talent hat, ihre Patienten zu erleichtern, fällt es ihr um so schwerer, sich selbst zu beschützen. Im Gegenteil, sie läd sich deren Negativitäten auf, was sie manchmal extrem verletzlich macht. Er wird ihr lernen, sich zu schützen, die Falle selbstgefälliger Tugend zu vermeiden. Der Engel „verkörpert Liebe, weit entfernt von sentimentaler Güte“ die der gewöhnlichen Güte der Menschen nicht im geringsten ähnlich ist.
„Sei nicht befleckt von der „Güte“! Der „gute“ Mensch, der spendet, der hilft. Und siehe, was gibt er?  Den Tod.“
Und er fügt hinzu:
„Du aber...du bist nicht „gut“, doch das GUTE wird durch dich.“ (AE 27L)
Die «Gespräche von Budaliget» gehen im Frühjahr 1944 zu Ende. Die Deutschen haben Ungarn überfallen und mit grösster Kompetenz die Deportation der Juden organisiert. Die vier Freunde kehren in die Hauptstadt zurück. Anfang Juni wird Joseph deportiert. Einige Zeit später wird Gitta gebeten, die Leitung einer Schneiderhandwerkstatt zu übernehmen, um jüdische Arbeiterinnen zu retten. Sie nimmt unter der Bedingung an, dass Hanna und Lili ihr folgen. Die Werkstatt wird in einem alten, kleinen, leerstehendem Kloster, Katalin, auf der Anhöhe Budas untergebracht. Als die drei Frauen dort ankommen, stellen sie eine wahnsinnige Unordnung fest. Ordnung muss gemacht werden. Um diese hunderten kopflosen Frauen zu disziplinierten Arbeiterinnen, die Hemden für die ungarische Armee schneidern werden, umzuformen, werden die Aufgaben eingeteilt: Gitta muss sich unerbittlich zeigen und eine Militärdisziplin herrschen lassen, wogegen Hanna und Lili Öl auf die Wellen schütten. Die erste wird sich um den guten Ablauf der Werkstatt kümmern, die zweite vor allem um die Kinder und Jugendlichen. Dank der Strenge der „Kommandantin“ und Hanna und Lilis Hingabe kann die Fabrik die bestellten Hemden liefern. Katalin, eine normale Fabrik? Nicht ganz. Wenn Gitta sich hinter ihrer Rolle als Kommandantin verschanzt, verbirgt Hanna nichts von ihren spirituellen Gedanken und Lili lehrt den Jüngsten Entspannungsübungen. Und dann sind da noch diese mysteriösen Versammlungen der drei Frauen in der „Hütte“ der Kommandantin, an die sich niemand annähern traut. Wie eine von ihnen schreibt, Agnès Péter, sehen die Arbeiterinnen in den drei Frauen „Wesen, die sie sowohl durch ihre täglichen Lebenstaten übertreffen, als auch durch irgend etwas schwer fassbares.“
Das Abenteuer wird fünfeinhalb Monate dauern. Zu dieser Zeit deportieren Eichmann und seine Schergen hundertausende von Juden. Aber für Katalin kommt die Gefahr von den ungarischen Nazis – den Nyilas –, die die Macht an sich genommen haben. Nachdem sie in Katalin ein erstes Mal am 5. November ohne Erfolg eingefallen sind, kommen sie am 2. Dezember wieder. Natürlich, dank einer unglaublichen Strategie Gittas, schaffen es die meisten Arbeiterinnen zu entkommen. Aber Hanna und Lili ergeben sich, um Gitta zu beschützen, die ihr Leben riskiert, sobald die Nyilas merken, dass die meisten Juden geflüchtet sind.

Der innere Wiederstand

Sechzehn von ihnen werden mit dem letzten Transport, der Budapest zu den Lagern verlässt,  deportiert. Neben Hanna und Lili eine junge Frau, Eva Danos, die Lili sehr liebgewonnen hat. Durch ihre Zeugenaussage werden wir wissen, was mit ihnen geschehen ist.
Nach einer Reise von fünf Tagen kommen die drei Frauen in Ravensbrück an, wo sie von Dezember 1944 bis Februar 1945 unter abscheulichen Bedingungen leben werden. Dort gibt es keine Gespräche mehr mit den Engeln: „zum Überleben brauchen sie ihre ganze Kraft.“ Hanna und Lili stellen sich den Abscheulichkeiten mutig gegenüber, wiederholend, dass sie wieder nach Budapest zurück kommen werden und „dort Kirschen pflücken werden.“ Sie haben grossen Lebensdurst, wollen überleben, aber nicht um jeden Preis. Lili, die Sportliche, entzieht sich dem Privileg Kapo zu werden „weil sie dann unweigerlich Gefangene hätte schlagen müssen.“ Sie bleiben unzerstörbar solidarisch, teilen alles. Und vor allem behalten sie ihre Würde. Eva erzählt: „Lili war immer noch so schön: sie hatte es geschafft, einen roten Schal mit Punkten zu behalten und wickelte ihn mit damenhafter Eleganz um ihren Kopf .“ Und nachdem Lili sehr unter diesem Dreck im Lager leidete, stieg Eva regelmässig nachts von ihrer Pritsche runter, um einen Waschlappen, den sie trotz der Lagerüberwachung aufgestöbert hatte, zu befeuchten.
„Die Art und Weise in der sich Hanna und Lili in Ravensbrück benommen haben ist eine Eingebung. Sie haben sich immer als die Lichtentsender angesehen“, sagt Eva.

Vielleicht hätten sie bis zur Befreiung des Lagers Ende April 1945 überleben können, aber das Schicksal wollte es anders. Anfang Februar sind alle drei „auserwählt“, in eine Fabrik arbeiten zu gehen. Am 15. Februar werden sie in die übervollen Viehwagons ohne Nahrung und Heizung, in  verlausten Sommerkleidern, verladen. Es geht Richtung Burgau, ein Lager, das für Messerschmitt arbeitet, nicht weit von Dachau entfernt, 700 km südlich von Ravensbrück. Eine Reise, die fünfzehn Tage unter Bombardierungen der Alliierten dauern wird . Hunger, Kälte und  Krankheiten töten die meisten Passagiere. Hanna wird noch vor dem Besteigen des Wagons verrückt, er wird ihr Grab. Am Morgen des dreizehnten Tages wird man sie im Morgengrauen finden, die „Augen weit offen, ihr Gesicht gekennzeichnet von Wundmalen des Todes.“ Lili lebt noch, hat aber Typhus. Eva versucht mit allen Mitteln, ihr zu helfen. Vergeblich. Lili ist am Ende. Ihr Körper ist eine riesige Wunde, aber sie passt auf, ihr Gesicht unter den blonden Haaren, die man ihr wunderlicherweise gelassen hat, zu verstecken. Von Zeit zu Zeit ruft sie um Hilfe.  Und dann schreit sie mit kräftiger Stimme: „Mein Gott, wenn ich hier lebend raus komme, schwöre ich, mein ganzes Leben der Menschheit zu widmen.“ (ZV)
Das waren ihre letzten Worte. Sie wird in der Nacht sterben. Lili hat ihr Leben nicht gerettet, aber vielleicht hat sie dank ihres Talents und ihrer Grosszügigkeit andere gerettet. Pierre Székely bezeugt: „Lili Strausz war eine wunderbare Frau, die sich um die spirituelle Gymnastik kümmerte.  Sie hat vielleicht auch mein Leben gerettet, weil sie mir gelernt hat, mich nicht zu ermüden, Teile meiner Muskeln bei der Arbeit auszuruhen und das hat mir bei anstrengenden Märschen oder schwierigen Situationen sehr geholfen.“
Allein Eva überlebt diese verfluchte Reise. Sie schreibt im Zug ins Verderben:
„Augsburg, 4. März; die nackten Überreste Lilis wurden entfernt und selbst wenn ich es gewollt hätte, ich konnte diesen athletischen Körper voll Leben meiner Freundin nicht wiedererkennen.“ Und sie beendet mit schmerzendem Herzen: „ich werde nie wieder die beste meiner Freundinnen neben mir haben, der bemerkenswerteste Mensch, die talentierteste Person, die reinste Seele, der ich je begegnet bin: Lili.“

Westfriedhof Augsbourg : En mémoire des 235 victimes de camps de concentration †1945 qui reposent ici
Westfriedhof Augsburg Lili Strausz 1945
Das Denkmal der 235 Opfer der Konzentrationslager 1945 im Augsburger Westfriedhof. Auf einer der Gedenktafeln steht: "Strauss Lilli 45 Jahre" (3)

Françoise Maupin

(1) Pierre Székely (1923-2001) ist ungarischer Bildhauer. Er war Hanna Dallos Schüler und sein Werk ist von ihrem Einfluss, die er als seine Meisterin anerkannte, geprägt.

(2) Vera Székely, geborene Harsanyi (1919-1994) ist eine ungarische Künstlerin, die zuerst Schwimmerin war. Sie ist von Gitta Mallasz trainiert worden, um an den olympischen Spielen 1936 in Berlin teilnehmen zu können. Danach wurde sie Hannas Schülerin. Dank ihr hat Pierre Székely  – er wird ihr Mann werden – Hanna kennengelernt und traf sie in ihrer Werkstatt. Während der Gespräche von Budaliget haben sie in der Wohnung der Eltern Hannas in Budapest gewohnt und sind somit die ersten Leser dessen geworden, was Die Antwort der Engel wird. Nach dem Krieg werden sie sich in Frankreich niederlassen.

(3) Das Denkmal wurde 1950 von der Stadt Augsburg errichtet. Wir haben gute Gründe zur Annahme, dass es wirklich Lili Strausz's Gedenktafel ist trotz der anderen Schreibweise ihres Namens und falschen Altersangabe (sie war erst 38 Anfang 1945).

Quelle
  • (AE) Die Antwort der Engel, Daimon Verlag, 1981
  • (ZV) Eva Langley-Danos: Zug ins Verderben, Daimon Verlag, 2001