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Die Antwort der Engel

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die Antwort der Engel
  
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  Hannas Gabe

Hanna Dallos war die Stimme der Antwort der Engel. Sie übermittelte diese spirituelle Lehre während des Krieges in Ungarn, bevor sie durch die Shoah umkam. Sie war eine sehr lebendige, witzige, intelligente und tiefgehende Frau, eine außergewöhnliche Pädagogin, die sich ständig existentielle Fragen stellte.

Hanna Dallos ist am 14. Juni 1907 geboren und wächst in einer warmherzigen Familie reformierter Juden auf (1). Ihr Vater, Direktor einer Hochschule für Jungen, war ein sehr offener Mann. Ihre Mutter, von unendlicher Sanftmut, war eine richtige jüdische Mama. Hanna hat auch einen älteren Bruder, Joseph, ein hervorragender Augenarzt, der an der Verbesserung der ersten Kontaktlinsen arbeitete. (2)

Famille Dallos
Hanna Dallos und ihr Bruder Joseph mit ihren Eltern
(mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Vera Dallos-Pinter)


Mit 20 Jahren heiratete sie ihren Cousin, Joseph Kreutzer (3), der auch jüdischer Abstammung war. Hanna ist Grafikerin, Malerin und Graveurin, während ihr Mann Möbel entwirft und herstellt. Nach dem Ende des Studiums, lässt sich das Paar 1928 in einem großen Atelier auf den Anhöhen Budas nieder, von dem aus die Donau zu sehen ist. Joseph, ein sehr großer, magerer Mann mit Schnurrbart, ruhig und nachdenklich, war agnostisch und ein ehemaliger Sympathisant der revolutionären Bewegung Béla Kuns 1919,  und strahlte große Ruhe aus, die es Hanna ermöglichte, Kraft zu schöpfen. Hanna ist eine enge Freundin der jungen österreichisch- ungarischen Gitta Mallasz, die sie in der Kunsthochschule kennengelernt hat. Hanna Dallos et Joseph Kreutzer
Hanna Dallos und Joseph Kreutzer
(mit freundlicher Erlaubnis von Dr. V. Dallos-Pinter)
Nach einer kurzen Sportkarriere als berühmte Schwimmerin, kehrt sie zur Zeichnung zurück und schließt sich dem Atelier des Paars gegen 1934 an. Nach dem Wiederauferstehen des Antisemitismus, übernimmt sie das Einholen der Bestellungen, um die Firma am Leben zu erhalten.


Die Lehre

Hanna ist die Seele der Werkstatt.  Laut Gitta: «Sie besass eine grosse, ungewöhnliche Konzentrationsfâhigkeit und Intuition, was ihr erlaubte, jeweils sofort das Wesentliche in der künstlerischen Konzeption sowie in der praktischen Ausführung einer Aufgabe zu erkennen.» (AE, S. 2-3) Zugleich kann sie das trivialste Problem lösen. Laut einer ihrer Schülerinnen, Vera Székely «betrachtet Hanna den plastischen Ausdruck – auch wenn es sich nur um eine ganz gewöhnliche Reklame handelt – als das innere Spiegelbild seines Verfassers.» In Wirklichkeit sehen ihre Schüler in ihr eher einen Lehrmeister (4), als einen Lehrer, da für sie spirituelle Fragen von äußerster Wichtigkeit sind.
Der Tao Te King, die Upanishad, die Bhagavad-Gita und Meister Eckharts Schriften stellen ihre Bettlektüre dar, die sie ihren Schülern leiht und erklärt. Nur wenige konnten diese Anforderungen und Intensität ertragen, laut Vera Székely. Die anderen verließen die Kurse.
Aber Hanna kann auch lachen. Sie liebt Witze zu machen und Personen nachzuahmen. Als eine herkömmliche Bäuerin verkleidet, sehr viele Röcke übereinander gehäuft, spielt sie die Rolle einer groben, unschuldigen Person, die ihre Chefin (Gitta) in die Literatur-Cafés in Budapest begleitet, und  parodiert auf verletzende Weise den Mikrokosmos, in dem sie lebt. 

Die Eingebung

Ihre außerordentliche Feinfühligkeit und Sensibilität werden sich bald auf eine sehr ungewöhnliche Art äußern, obwohl sie Gitta, die sie erlebt hat, ganz normal erscheinen. Es ereignet sich zum ersten Mal am 25 Juni 1943 um 15 Uhr in einem kleinen, ungemütlichen Haus in Budaliget, nicht weit entfernt von Budapest, in dem Hanna, Joseph und Gitta sich niedergelassen haben, um der negativen Stimmung der Hauptstadt zu entfliehen. Lili Strausz, die Gitta während ihrer Sportkarriere kennenlernte, ist Ausdruckstanzlehrerin, auch Jüdin, und kommt an den Wochenenden dazu. Getrieben von einem großen inneren Verlangen, diskutieren die vier Freunde üblicherweise über brennende Themen in dieser chaotischen Zeit, in der der Totalitarismus verherrlicht wird, um klarer zu sehen. An diesem Nachmittag redet Gitta eine Menge Banalitäten über ein persönliches Problem, als Hanna plötzlich eine blendende Vision hat: sie sieht zwei Hände, die Gittas Notizen zerreißen, und sie wütend zu Boden werfen. Sie warnt: «nicht mehr ich werde zu dir sprechen!» (AE, S. 9) Mit Hannas Stimme warnt jemand Gitta sehr streng vor ihrer inkonsequenten Haltung.

In dem Moment, in dem Gitta Hannas Stimme hört, weiß sie, dass diese nur ein Werkzeug ist. Hanna ist sich der «Gegenwart desjenigen bewusst, der Gitta anspricht». Sie ist aber auch ganz präsent: sie wohnt den Sätzen bei, die sich in ihr «mit Staunen und Entzücken» bilden. Wo kommen die Botschaften her und wer schickt sie ihr? Die vier Freunde werden diese ferne Stimme die «Botschafter» nennen, bevor sie sich selber als Engel bekannt macht.      Hanna Dallos autoportrait
Hanna Dallos
Selbstbildnis (1930)
Diese Gespräche dauern 17 Monate, in denen die Engel sie zu einer radikalen Änderung aufrufen, eine neue Zeit verkündend: eine Feuerbotschaft, von brennender Aktualität, und Hanna ist die Vermittlerin.
Am Anfang der Gespräche spürt Hanna den Sinn der Botschaft und setzt sie in Worte um. Später, als die Lehre dringender wird, wiederholt sie nur wörtlich, was sie in sich hört und gibt den Text weiter, ohne den Sinn oder die Fremdsprache zu verstehen.
An einer Reklame arbeitend, legte Hanna eines Tages plötzlich ihren Pinsel weg und sagte zu Gitta: «ich höre deutsche Worte, sie sind an X gerichtet. Notiere sie!» (AE, S. 150; Morgen) Hanna sprach zwar deutsch, aber sie kannte nicht unbedingt alle Feinheiten. Gitta übersetzte ihr die unbekannten Worte ins Ungarische und vertiefte ihren Sinn.
Bei diesen Treffen entwickelt Hanna eine immer größer werdende, außergewöhnliche Sensibilität: empfänglich für das Vibrieren der Engel, fühlt sie mit der gleichen  Schärfe das Leiden der Menschen. Von den stechenden Herzschmerzen, unter denen sie litt (AE, S. 45,  292), sagte sie nur: «diese Schmerzen kommen nicht vom Körper. Ich fühle, dass die Menschen vielleicht nie so viel Leid erfuhren, wie in den heutigen Tagen.» (AE, S. 219)

Während einer Konferenz in Zürich, an der Paulus Akademie, am 9. November 1985, sagte Gitta Mallasz von ihr: «Ihre Konzentrationsfähigkeit war außergewöhnlich. Hanna war gleichzeitig in der geschaffenen Welt UND in der zu schaffenden. Sie eröffnete uns eine andere Dimension. Sie hatte die Qualitäten des neuen Menschen, der sich in der Mitte befindet, der Himmel und Erde verbindet. Für uns war sie ein Vorbild.»

Am 19. März 1944 überfällt Deutschland Ungarn und die Deportationen der Juden beginnen. Sie müssen nach Budapest zurückkehren. Am 3. Juni verschwindet Joseph an einen unbekannten Bestimmungsort und lässt Hanna trostlos zurück. (AE, S. 297) Kurze Zeit später bittet Vater Klinda, ein gutwilliger Priester, Gitta, die Leitung einer Werkstatt für Militärbekleidung mit 100 jüdischen  Arbeiterinnen, zu übernehmen. Gitta nimmt  unter der Bedingung an, Hanna und Lili mit in Katalin, einstellen zu dürfen. (AE, S. 302)

Die Ausstrahlung

Die Hauptaufgabe für die drei Freundinnen ist, die Fabrik funktionsfähig zu machen.
Gitta ist die Kommandantin, streng und gefürchtet: sie muss so sein. Hanna und Lili versuchen, Ordnung und Frieden in dieses Durcheinander zu bringen. Eine der Arbeiterinnen, Eva Danos, erzählt:
»Hanna Dallos by Gitta Mallasz
Hanna Dallos, von Gitta Mallasz
(mit freundlicher Erlaubnis von Dr. Vera Dallos-Pinter)
«Im Wirrwarr des überfüllten Schlafsaals waren mir Hannas lachende blaue Augen eine Botschaft von Wärme und Freundschaft, von Ermutigung und Hoffnung. Es ging eine besondere Ausstrahlung von ihr und ihre Freundin Lili aus, welche ich spürte und zu wecher ich mich hingezogen fühlte.» (ZV, S. 16)
Durch die Gespräche mit den Engeln gestärkt, die in der Kommandantenhütte stattfinden, strahlen Hanna und Lili. Hanna passt auf alles auf, und Lili kümmert sich vor allem um die Jüngeren, denen sie Entspannungsübungen gibt. Deshalb konnte eine der Arbeiterinnen, Agnès Péter, trotz dieser angstvollen Situation, schreiben: «die  Stimmung in Katalin war fantastisch. Wir fühlten uns außerordentlich leicht. Wir besaßen gar nichts mehr – im wahrsten Sinne des Wortes: gar nichts mehr – und es war uns egal.» Für sie war diese Zeit, die sie mit Hanna, Lili und Gitta dort verbracht hatte, die schönste ihres Lebens.
Aber Ende 1944 wird die Situation schlimm. Am 15. Oktober ist Horthy nicht mehr Regierungschef, und die Nyilas (Pfeilkreuzler), diese ungarischen Nazis, terrorisieren ganz Budapest. Sie überwachen diese «Fabrik» genau. Sie versuchen zum ersten Mal  am 5. November, ohne Erfolg, die Arbeiterinnen zu verhaften. Die Nyilas kommen am 2. Dezember zurück. Diesmal befiehlt Gitta den Arbeiterinnen, durch den Garten zu fliehen.

Das Opfer

Hanna und Lili fliehen nicht. Sie lassen sich mit einigen anderen verhaften, da sie davon überzeugt sind, dass Gitta die Gespräche in die Öffentlichkeit bringen soll, und womöglich von den Nyilas erschossen wird, wenn diese merken, dass alle weg sind. Am nächsten Tag werden sie als letzter Gefangenentransport aus Ungarn deportiert. (AE, S. 411)
Hanna und Lili kommen nach Ravensbrück. Bei ihnen ist auch Eva Danos, die einzig Überlebende, und Klara, eine Ungarin, die sich ihrer seit ihrer Einlieferung im Lager angenommen hat. Um Überleben zu können, sind sie solidarisch, schlafen in der selben Hütte und sind zusammen im selben Arbeitskommando. Hanna hilft. Ihre  wunderschönen, blonden Haare sind nicht abgeschnitten worden bei der Einlieferung, was für sie ein gutes Zeichen ist. Eine Aufseherin ist sogar zu ihr hingegangen und hat sie gefragt, ob sie Arierin sei mit ihren blauen Augen, blonden Haaren und der geraden Nase. Hanna hat geantwortet, dass sie Jüdin sei. Nach 17 Monaten als  Botschafter der Engel, konnte sie nicht mehr lügen!
Februar 1945 werden die vier Freundinnen «ausgewählt», um in Burgau, einem  Nebenlager Dachaus, 700 km südlich, in einer Fliegerfabrik zu arbeiten. 500 Frauen verlassen das Lager. Davor müssen sie sich in aller Eile unter Peitschenhieben duschen. Aber zuvor werden sie geschoren – diesmal wird auch Hanna kahl rasiert. Zusammen mit ihren Haaren verliert sie ihren Verstand. Ihre Freundinnen finden sie, sich an einer Seife festhaltend, zusammengebrochen unter einer Dusche, nicht im Stande, alleine aufzustehen. Hanna hat verstanden: sie kommt nie mehr in ihr Land zurück, zu ihrem Mann und ihrer Familie........Sie ist am Ende. Sie gibt auf. Hanna, die Supersensible, die Botschafterin, gibt vor dem Sterben auf, da sie dieser brutalen Geschichte nicht mehr gewachsen ist.
Zusammen mit Eva, Lili und Klara steigt sie in den übervollen Viehwagon, in dem die Frauen, unmenschlich zusammengepfercht, sich schlagen. Es gibt fast nichts zu Essen und zu Trinken, die Exkremente häufen sich, und die SS sorgt mit der Peitsche für Ruhe. Hanna verkommt in diesem Schmutz 13 Tage lang und wiederholt ständig: «was wird aus mir? Meine Haare sind abgeschnitten worden. Ich komme nie mehr nach Hause zurück.»  Auf einem ekelhaften Boden, irgendwo im Osten Deutschlands, stirbt sie in der Nacht des 1. März 1945. Ihr Leichnam wurde in Beyreuth ausgeladen, in dem Ort der Musik Wagners, die Hitler sehr schätzte, eine Ironie des Schicksals. (ZV)

In memoriam, Stadt friedhof Bayreuth
Gedenktafel im Stadtfriedhof Bayreuth (Erlanger Strasse) - 2014
(Bild : Stadt Bayreuth)

Françoise Maupin


(1) Das reformierte Judentum ist eine Erbfolge des fortschrittlichen Judentums, das in Deutschland während des Zeitalters der Aufklärung entstanden ist. Die reformierten Juden gehörten in Ungarn zur ältesten Wurzel der dort Ansässigen. Sie waren völlig integriert innerhalb der ungarischen Gesellschaft. Seit 1867 Staatsbürger, konnten sie die höchsten Positionen, sogar in der Armee innehaben.

(2) Joseph Dallos, 1905 geboren, wurde 1928 Arzt und 1933 Augenarzt. Er arbeitete zuerst in Budapest, dann in London, wo er sich im Mai 1937 niederließ, an der Verbesserung der ersten Kontaktlinsen. Gemeinsam mit Zeiss hat er das Patent angemeldet. (http://www.andrewgasson.co.uk/pioneers_dallos.htm)

(3) Joseph Kreutzers Mutter war die Schwester von Hannas Vater, Sándor Dallos.

(4) Zeugenaussage des Bildhauers Pierre Székely (1923-2001), der Hannas Atelier besuchte zusammen mit Vera Harsányi (die seine Frau wird). Seine Werke wurden geprägt von dem Einfluss derjenigen, die er seine Meisterin nannte:
«Hanna kennenzulernen gleich nach dem Abitur, war wichtig für mein Leben, da sie mein Lehrmeister geworden ist. Lehrmeister meine ich auf eine traditionelle, asiatische Art. In Europa gibt es diese Verbindung – Lehrmeister & Anhänger – eher selten. Im Übrigen hat sie nie gesagt, dass sie unser Lehrmeister ist. Wir waren Freunde.»

Das Video dieser Zeugenaussage von Pierre Székely, aufgenommen von USC Shoah foundation unter der Nummer 40522, ist in Paris im Mémorial de la Shoah erhältlich.


Quelle
  • (AE) Die Antwort der Engel, Daimon Verlag, 1981
  • (ZV) Eva Langley-Danos: Zug ins Verderben, Daimon Verlag, 2001